Ein sonderbares Rencontre.

Militär-Humoreske von O. von Briesen
in: „Mülheimer Zeitung” vom 10.6.1899
in: „Viersener Volkszeitung” vom 19.8.1899


Als besonderer Kraftmensch war Leutnant Drusen von seinem Regiment für einen Kursus zur Zentral–Turnanstalt nach Berlin kommandiert worden. Um nicht weit gehen zu müssen, mietete er in einer dem bezeichneten Etablissement nahe gelegenen Straße eine Treppe hoch ein Quartier.

Friedrich, der brave Bursche, der nach dem Hofe zu ein Zimmerchen bewohnte, mußte seinen Herrn sehr früh wecken, der es liebte, womöglich schon vor Tagesanbruch eine längere Morgenpromenade zu unternehmen.

Einstmals erwachte Drusen des Morgens, und es schien ihm, als ob die Zeit längst vorüber sein müßte, in der er aufzustehen pflegte. Schleunigst ein Licht anzündend, schaute er nach der Uhr und fand seine Annahme bestätigt; Friedrich war somit nachlässig gewesen und hatte ihn zu wecken vergessen. Er stand daher auf, zog sich an und ging im Dunkeln nach dem Burschenzimmer, um den Langschläfer munter zu machen und an seine versäumte Pflicht zu erinnern.

Als er die Thür des beireffenden Raumes geöffnet, hörte er, wie Friedrich, offenbar im Schlafe, sprach und zwar ein derartiges Zeug zusammen, daß er, sein Herr, unwillkürlich stehen blieb und horchte.

Der Schläfer aber brachte etwa folgende abgebrochene Sätze hervor: „Nein, ich mag nicht Soloat sein, am allerwenigsten Bursche; das verträgt sich durchaus nicht mit meinem Stande, meiner Bildung und.... der Herr kann sich einen anderen zum Putzen nehmen, ich will nicht!”

Nachdem Drusen dies und noch verschiedenes andere gehört, erhob er seine Stimme und rief laut den Namen des Burschen, ihn daran erinnernd, aufzustehen, da er die Zeit bereits um fast eine Stunde verschlafen habe. In der finsteren Ecke, in der das Bett stand, regte sich allerdings etwas, aber nur ein unwilliges Murren ließ sich vernehmen, zum Aufstehen machte der Inhaber der Lagerstätte jedoch keinerlei Anstalt.

Dergleichen Ungehörigkeiten brachten den Offizier natürlich auf, und er befahl sehr energisch dem Faulpelz, sich sofort zu erheben und seinen Obliegenheiten nachzukommen. Daraufhin drehte sich jemand im Bette herum und schien sich aufzurichten, gleich darauf ward ihm mit folgender Entgegnung aufgewartet:„Ich habe Ihnen jetzt oft genug gesagt, daß ich nicht Bursche sein will, ich putze Ihre Sachen nicht mehr — nun lassen Sie mich aber in Nuhe und stören Sie mich nicht fortwährend!” Es erfolgten sodann noch einige unverständliche Worte, die gleichfalls keine Schmeicheleien zu enthalten schienen, dann legte sich der Schläfer dröhnend zurück und schnarchte ruhig weiter.

Ein solches Betragen des sonst ganz brauchbaren Meuschen erschien Drusen rätselhaft, und er konnte sich keinen anderen Vers daraus machen, als daß Friedrich plötzlich übergeschnappt sei und an Größenwahn leide. Mit einem Irrsinnigen aber in Kollision zu geraten, blieb immerhin eine prekäre Sache; daher hielt er es für das Beste, wenn er ohne Aufschub ärztliche Hilfe zurate zog. Da es im Burschengelaß noch stockfinster war, so vermied er es unter den obwaltenden umstanden, mit Licht hinein zu gehen; er ließ den Schläfer vielmehr ruhig liegen, schloß die Thür leise hinter sich ab und machte sich spornstreichs auf den Weg zu einem befreundeten Militärarzte, der eine halbe Stunde von ihm entfernt wohnte.

Als er dort eintraf, wurde es eben Morgen, und der Jünger Aeskulaps saß bei seinem Morgenkaffe, höchlichst verwundert, zu so früher Tageszeit Besuch zu bekommen. In Kürze teilte ihm Drusen den Grund seines Erscheinens mit und bat ihn, doch gleich milzukommen, um den Geisteszustand seines Burschen zu untersuchen, der offenbar den Verstand verloren haben müsse.

Der Mediziner war gern bereit mitzugehen. Nachdem er gefrühstückt, traten beide ihren Marsch an, gespannt, in welcher Verfassung sie den Aermsten treffen würden. Sich der Wohnung nähernd, bemerkten sie Friedrich, den leibhaftigen Friedrich, der vor dem Hause auf und ab spazierte. Als derselbe seines Herrn ansichtig wurde, trat er auf diesen zu und meldete: „Herr Leutnant, ich bitte um Entschuldigung, die Nacht nicht zu Hause gewesen zu sein; mein Vater kam jedoch gestern Abend unvermutet an, und da der Herr Leutnant nicht anwesend waren, so konnte ich keinen Urlaub erbitten, sondern blieb ohne solchen fort, um meinen Vater heute früh auf den Bahnhof zu bringen, von wo ich soeben komme!”

Drusen wollte seinen Augen nicht trauen, als er seinen Burschen ganz vernäuftig redend vor sich sah, ihn, den er geistig umnachtet oben in seinem Zimmer eingeschlossen wähnte.

„Aber Mensch!” rief er daher ganz erstannt, bist Du es denn selber oder ist es Dein Geist? Ich habe Dich doch vor einer guten Stunde in Dein Wohngelaß eingeschlossen und bin zu einem Arzt für Dich geeilt, um Dich untersuchen zu lassen, da Du ganz sonderbare Reden mir gegenüber führtest — und jetzt stehst Du hier leibhaftig vor mir. Wie soll ich das verstehen!”

„Eingesperrt ist jemand in meinem Zimmer, das habe ich gemerkt, als ich oben war”, meinte Friedrich, „der Betreffende macht großen Skandal, spricht von widerrechtlicher Freiheitsberaubung, Klagen u. s. w.”

bdquo;Nun, da wollen wir doch mal zusehen, was für einen Vogel wir oben im Burschenzimmer eigentlich gefangen haben und wie ein Unberufener überhaupt in Dein Quactier und Bett gelangt ist!”

Alle drei Personen stürmten die Treppe in die Höhe, um Aufklärung über diese ganz eigentümliche Affaire zu erhalten.

Als Drusen die Thür aufgeschlossen hatte, trat ihnen ein Student im Wichs, der freilich etwas derangiert ausschaute, entgegen und wollte sich, einige nicht recht verständliche, aber jedenfalls unwillige Worte murmelnd, aus dem Staube machen. Friedrich aber vertrat ihm sogleich den Weg, und sein Herr, der vermutlich schon einen Zusammenhang ahnen mochte, richtete die Frage an ihn, wie er in diese, zweifelsohne nicht seine eigene Behausung geraten sei.

Der Studiosus stellte sich nach dieser Aufforderung ordnungsmäßig vor und hub, nachdem man sich in Drusene Wohnung begeben hatte, also an: „Wenn Sie mich fragen, Herr Leutuant, wie ich in das Zimmer Ihres Burschen gelangt bin, so vermag ich Ihnen keine genügende Antwort darauf zu geben: Ich bin erst gestern auf der hiesigen Universität immatrikuliert, und auf der Kneipe des Korps, dem ich beitrat, wurde abends eine große Antrittsfeier für die Füchse veranstaltet, bei der ich meinem Ermessen nach mehr edlen Gerstensaft vertilgte, als mir dienlich war. Infolgedessen hatte ich die Nummer meines in dieser Straße liegenden Hauses total vergessen; nur soviel wußte ich, daß eine „sieben&tdquo; darin vorkam. Um somit meine Wohnung zu finden, blieb mir nichts übrig, als mit meinem Hausschlüssel die Schlösser der Häuser zu probieren, deren Schilder eine sieben zeigten. Nach mehreren vergeblichen Versuchen paßte endlich der Schlüssel zu dieser Hausthür, was mich natürlich glauben ließ, daß hier mein Domizil sei. Hierin bestärkte mich überdies der Umstand, daß ich oben ein offenes Zimmer und ein leeres Bett fand, welch' letzteres ich, der Ruhe bedürftig, als das meinige sofort okkupierte. Nachts haben mich, wie mir dunkel erinnerlich, sehr unruhige Träume gequält; man wollte mich durchaus zum Soldaten und zum Offizierburschen pressen, und namentlich gegen das letztere sträubte ich mich mit Händen und mit Füßen. Wie ich jetzt sehe, bin ich thatsächlich in ein falsches Haus, Zimmer und Bett geraten und muß daher vielmals um Entschuldigung bitten, diese unangenehme Störung verursacht zu haben. Trage ich persönlich auch in der Hauptsache die Schuld an diesem Wirrnis, so kann ich doch nicht umhin, einen Teil der Verantwortlichkeit auf meinen unzuverlässigen Hausschlüssel zu schieben, der mir mit Leichtigkeit eine unrichtige Thür öffnete.”

Drusen und der Doktor hatten lächelnd den Bericht des Studenten angehört; nach Beendigung desselben äußerte der erstere: „Nun, wenn sich die Sache so verhält, dann bedarf es ja erfreulicherweise keiner ärztlichen Untersuchung. Jetzt am Tage werden Sie auch wohl leichter ihr Quartier auffinden; von Glück können Sie übrigens sagen, daß mein Friedrich nicht zu Hause war, ich fürchte, der wäre etwas sehr unglimpflich mit Ihnen verfahren!”

Die Sache hatte somit eine natürliche Aufklärung gefunden, über welche in den betreffenden Kreisen noch oft gelacht wurde.

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